Manfred Roth schrieb vor einigen Jahren einen langen Beitrag zur Geschichte MIDGARDs. Manfred war damit einverstanden, dass seine Worte in Cuanscadan Gehör finden. Und mir ist das sehr recht, denn er gibt in seinen Worten das wieder, was auch ich ab etwa 1973 erlebte – das Eintauchen in fremde Welten. Vom Buch zum Rollenspiel und wieder zurück. Und manchmal zum Film. Doch der war gar nicht nötig, denn unsere Phantasie war bunt genug. Und ist sie irgendwie ja immer noch …

Lauscht also Manfred und seiner Erzählung von einer Welt, die noch hauptsächlich aus Papier bestand. Und aus Träumen von fernen Welten.


MIDGARD-Anekdoten

von Manfred Roth

Ein paar kurze Informationen und Geschichtchen, eher Anekdoten, zum Rollenspiel in Deutschland und Midgard im Besonderen, und ganz und gar subjektiv …

Am Anfang war FOLLOW
Magira

Seit Mitte der Fünfziger Jahre (Leihbücher, Heftserien wie »Utopia« und »Terra«) gab es hierzulande bereits diverse Science Fiction-Angebote, erst recht nach dem Start von »Unserem Mann im All« Perry Rhodan (1961), doch Fantasytitel verirrten sich praktisch nie in diesen »Hardcore-SF-Bereich«, geschweige denn, dass der Name FANTASY überhaupt auftauchte. Selbst in den USA kam dies erst Mitte der Sechziger (etwa im Zuge der Wiederveröffentlichung von Robert E. Howards »Conan« und anderem) auf. Das deutschsprachige (hier zählen wir, toleranterweise, Franken, Bayern und Österreicher mit) Fandom, klein, aber schon vielfach zersplittert und zerstritten (eine typische und noch nicht mal rein-deutsche Angewohnheit von Fans …), war ausnehmend »technisiert« geprägt. Und so nahm es nicht wunder, dass auf einem SFCD (Science Fiction Club Deutschland)-Con in Wien sämtliche Augenbrauen hochgezogen, Nasen gerümpft und Mundwinkel süffisant-lächelnd verzogen wurden, als Hubert Strassl und Edi Lukschandl am 6. August 1966 FOLLOW gründeten, sich gegenseitig zu »Lords« einer Ritter- und Fantasywelt ernannten und ein paar andere gleich zu »Knappen, Gefolgsleuten und Edlen« in ihre »Clans« beriefen. Zumal das ganze auch eher in einer fröhlich-anarchischen Weise geschah (ein bleibender Wesenszug von FOLLOW, das man immer so ernst nimmt, wie jeder für sich eben will), ein wenig »arg spinnert« halt.

Trotzdem ist dies so etwas wie die Geburtsstunde von Fantasy und mithin auch des Rollenspiels im deutschsprachigen Raum. Denn FOLLOW (»Fellowship Of the Lords Of the Lands Of Wonder«) hatte (und hat, denn der Club existiert ja immer noch – und lebendiger denn je!) seine 3 »Standbeine«, von denen die Beschäftigung mit Fantasyliteratur nur eines war.

Das zweite ist (als »Geselligkeit«) die aktive Entwicklung einer Fantasywelt, zunächst »Lands Of Wonder«, aber schnell dann „Magira“ genannt. Etwas Derartiges macht in der Regel der Fantasyautor, der seine Romane und Stories dort schreibt, selbst und vorab, und heutzutage, bei Rollen- und anderen Spielen, auch jeder halbwegs engagierte Hobbyautor ebenfalls (bei MIDGARD die »Supporter-Crew«, die Quellenbücher und Abenteuer schreiben). In FOLLOW/auf Magira macht jeder Follower/Magiraner mit. Ist man einmal dort beigetreten und aufgenommen, hat man gleich zweierlei »Identitäten«: seinen Follower-Status als Mitglied einer Gruppe (eines Clans) und darüber hinausgehend auch seinen Status als Bewohner der Fantasywelt Magira mit der dort angesiedelten Persönlichkeit. Dies stellt auch so etwas wie Rollenspiel dar; die Verbindung ist jedoch sehr viel intensiver als zu einer RPG-Figur, ist man es »doch selbst« und gestaltet seine Figur (weniger nach festen »Regeln«, sondern halbwegs so, wie man Lust hat; man »lebt« sie/sich zeit seines Magiradaseins).

Es ist also kein »geregeltes«, sondern eher ein freies Rollenspiel. Und dabei hatte und hat FOLLOW schon immer auch sein SPIEL. Es heißt (recht martialisch) „Armageddon“, ist ein strategisches Spiel mit Fantasyelementen und alt, sehr alt; so alt, dass eigentlich jeder intensiv im Fantasy-/Spielegenre Engagierte schon mal irgendwie, irgendwann, irgendwo von ihm gehört hat (oder einen kennt, der schon mal – und so weiter). Bis zum Auftreten der ersten Rollenspiele war es 10 Jahre lang das einzige seiner Art (ja das einzige Spiel mit Fantasyhintergrund?) in Deutschland. Es beeinflusste zahlreiche andere Spiele, darunter Post- und Computerspiele (wobei es nie als Computerspiel programmiert wurde – viele versuchten es – spricht das nun für Armageddon oder gegen die Programmierer?), wird in kleinen lokalen Spielgruppen immer noch gepflegt und in seiner ursprünglichen und größten Ausprägung einmal im Jahr auf dem Jahrestreffern von Follow, dem FEST DER FANTASIE. Dort laufen drei ganze Tage lang auf 3 mit Hex-Muster überzogenen Spielplatten von jeweils 2 Meter Durchmessern Runden ab und wird die großräumige Geschichte Magiras simuliert; und das nicht nur auf ein- und derselben unveränderten Landschaft, sondern seit 1967, weshalb es die Bezeichnung „Das Ewige Spiel“ mehr als verdient.

Ende 1969 und 1970 erschien die erste deutsche (gebundene und sehr teure) Ausgabe des »Herrn der Ringe« bei Klett-Cotta, und kurz danach auch, im Rahmen der Heyne-Taschenbücher, die ersten „Conan“-Romane, mit denen »echte Fantasy« in Deutschland Einzug hielt. Und es kamen auch Amerikaner und andere, nämlich zum „HEICON 1970“, dem ersten und bislang auch einzigen Mal, dass der seit 1939 fast ständig einmal im Jahr stattfindende Science Fiction-Weltcon in Deutschland stattfand. (Amerikaner und Engländer, die vom Sprachgebrauch her den deutschen Unterscheidungen von »der«, »die« und, besonders, »das« sowieso schon recht staunend gegenüberstehen, bezeichnen diese Abkürzung eines Events natürlich als »die Convention«, während sich hierzulande, im Land Wagners und anderer, die »harte männliche« Form durchgesetzt hat – der Con). Der HEICon fand also in Heidelberg statt, wohl als Konzession an bis heute andauernde »Mental Maps« von US-Bürgern (der andere Ort, den die meisten von Deutschland kennen, das Hofbäuhaus, war wohl nicht verfügbar …). Da waren also Autoren, Journalisten, Fans, Besucher versammelt, und auch Follower in Gewandungen und mit der figurenbestückten Armageddon-Spielplatte. Man erfährt dies unter anderem aus einem entzückenden, kleinen Zitat von Dieter Hasselblatt (aus seinem Buch: »Grüne Männchen vom Mars – Science Fiction für Leser und Macher«, Düsseldorf 1974, Droste Verlag – lang vergriffen, aber, trotz des hier abgedruckten kapitalen Bocks an Missinterpretation, sehr zu empfehlen, falls man es irgendwo mal wieder angeboten sieht), der da schreibt:

»Und natürlich, so fällt dem an SF immer noch interessierten, aber in Sachen Heicon immer skeptischerem Beobachter auf, berichtet ein Wolf Donner wohl über die post-pubertäre, faschistoid mittelalterliche Follow-Gruppe und deren kindisch-kriegerischem Brettspiel von zwei Metern Durchmesser. Follow, das ist ›Fellowship of the Lords of the Lands of Wonder‹. Diese Fellows gibt es in Bayern und Österreich, sie sehen aus wie ganz simple Hippies und bekräftigen auf Befragen ein wenig schüchtern, ihre Kriegssieilerei. ihr pseudo-mediales Herrschaftsgehabe und ihre auf ›Sword und Sorcery‹ gerichtete Thematik sei ›bloß so‹ gemeint, und damit wolle man eben einen direkten Bezug zur Realität herstellen. Als skeptischer und kaum interessierter Besucher fragt man sich hier allerdings, was der pubertäre Mummenschanz soll, was das mit Phantasie und Kalkül, mit visionärer Intensität zu tun hat, was das hier innerhalb der SF überhaupt sucht. Man fragt es sich vergebens, denn gerade Follow-Fellows werden bei der Saint-Fantony-Zeremonie in den karnevalistischen Sant-Fantony-Orden aufgenommen. Ordinäre Phantasmagorie. Nichts weiter.«

Nun gut. Dieter Hasselblatt hat, als Hörspielleiter am Bayrischen Rundfunk, etliches für die SF in Deutschland getan, er ist auch schon länger tot (Nihil nisi undsoweiter.), und in jenen Tagen entsprach so etwas wohl dem (salon-linkischen?) »kritischen Zeitgeist«; auch der SPIEGEL kannte dies Zitat wohl, als er 1978 in einem Kurzartikel über SF »Follow (als) das braune Schaf im deutschen Fandom« bezeichnete. Das hat in etwa den Wahrheitsgehalt der Behauptung, »Helmut Kohl und Wolfgang Hohlbein seien die größten deutschen Dichter, mithin von weit größerer Bedeutung als dieses andere, unbekannte Paar namens Goethe und Schiller«, hat aber auch etwas von »wenn schon falsch, dann richtig und im großen Stil«.

Aber um wieder die weite Kurve zurück zu Fantasy und Rollenspiel zu kriegen: belegt ist, dass einer der Heicon-Besucher ein (damals noch twen-niger) Amerikaner mit leicht ungewöhnlichem Namen war. Leider wohl nur eine (zu liebenswert, um nicht erzählt zu werden …) Legende ist es, dass dieser Gary Gygax damals und dort durch den Anblick von Follows Fantasygewandungen und Spielplatten auf den Gedanken gekommen sei, doch auch mal etwas in Sachen Fantasy und Spiel zu machen – was er denn auch tat.

In Deutschland nahm bis 1977 (als die preiswertere grüne Ausgabe vom »Herrn der Ringe« schließlich eine Art Durchbruch des Themas schaffte) die Zahl der Fantasybücher weiter ständig zu, mit regelmäßigen Titeln bei Heyne, später einer eigenen Reihe bei Bastei und der direkt von Followgründer Hubert Strassl initiierten und betreuten Reihen von „Dragon“ (Heftserie) der »Terra Fantasy“-Taschenbücher beim (Rhodan-Verlag) Moewig. In letzterer erschienen auch Huberts (als Hugh Walker) Magira-Romane, die nicht nur wegen dem Follow- und sonstigem Bezug im dahindarbenden Land von Deutsch-Fantasien, sondern auch von der Qualität her immer noch einen hohen Standard einnehmen.

1973 hatten auch Elsa und Jürgen Franke den Weg zu FOLLOW gefunden. Sie gründeten im Sommer 1976 die Magiragruppe (den Followclan) der „Schlangen“ (in FOLLOW werden die Völker und Clans umgangssprachlich meist nach den auf den Volkswappen dargestellten Dingen bezeichnet), die enzymäßíg das Land „Erainn“ auf der Alten Welt Magiras simuliert, eine nach irisch-mythologischem Hintergrund basierende Kultur. Viel aus den alten und neuen Sagen und Legenden dieses keltischen Kreises entlehnt, geeint im Glauben an die Natur (schließlich sind die Bewohner im wahrsten Sinne des Wortes grün <häutig>) und an „Nathir – die Allumfassende Schlange“ (als Symbol für den Ewigen Kreislauf, auch der »Worm Ouroboros« genannt, die sich in den eigenen Schwanz beißende Schlange). Dazu ein paar Anlehnungen an Moorcocks »Elric« (die kaltherzigen, arroganten, ganz und gar individualistischen Coraniaid als Herrschaftsgruppe), ein wenig von Darkover (Matrices = Sternsteine) und anderem, darunter viel eigenem Engagement und Entwicklung. (Diese Gruppe und Kultur gibt es immer noch in Follow/auf Magira, und wenn man hier feststellt, dass sie »die beste« in Follow/Magira ist, so folgt man nicht nur der enzytechnisch verankerten Arroganz, sondern der schlichten Wahrheitsliebe …)

Rollenspiele – was soll das?

Eines der ersten Mitglieder war Josef Ochmann, später als Zeichner der ersten MIDGARD-Jahre bekanntgeworden (zum Beispiel mit seinem Regelheft-Titelbild, das man, leicht spöttelnd, mit »gemischte Abenteuerergruppe vor Neuschwanstein« beschreiben könnte ..). Im Zuge seines Studiums (der Kunst und Anglistik – wenngleich er dann »nur« Lehrer in diesem Fächern wurde ..) hatte er sich ein halbes Jahr in England aufgehalten. Dort war er in Berührung mit SF- und Fantasyfans gekommen, die einem »ganz und gar neuen« Spiel frönten, etwas mit »Drachen und Gewölben«; Dungeons & Dragons im Original, und es ging um etwas, das „Rollenspiel“ hieß.

Er hatte zum Fest der Fantasy 1976 drei kleine Regelhefte mitgebracht, sie waren nicht sehr umfangreich (etwa 50 Seiten jedes), schlechtgedruckt und mit viel Text und Listen, eigentlich nur »dickere Fanzines« und natürlich noch alles in US-Englisch, aber wenn man es sich mal anschaute und interessiert war, konnte man daraus schon eine gewisse Faszination erkennen.

Leider ergab es sich zeitlich nicht, es damals schon auszuprobieren, so daß es ein ganzes Jahr mehr dauerte, ehe auf dem Fest 1977 in Gumattenkirchen (einem weltabgeschiedenen Dörflein in Südbayern) das erste Testspiel im Rahmen von Follow stattfand.

Josef Ochmann agierte als Spielleiter (der Logik folgend, dass er nach wie vor als einziger die Regeln besaß) und kommandierte etwa 12 Spieler und ihre Rollenspielfiguren 8 Stunden lang über das Brett und durch einen jener so genannten »Dungeons«, um die es ja laut Titel ging. Dabei waren u. a. Elsa und Jürgen Franke, Edi Lukschandl (Followgründer), Gustav Gaisbauer (später und immer noch Präsident des EDFC), Ludger Fischer (Alba-Quellenbuchautor), Karl-Georg Müller (erster „Gildenbrief“- und „Mythos“-Chefredakteur), Dieter Steinseifer (die graue Eminenz in jedem deutschen phantastischen Fandom) und noch ein paar andere (so wie der Schreiber dieser Zeilen natürlich; Anmerkung von Karl-Georg Müller).

Es war die erste, die wilde, die Pionierzeit, und es war schön und lustig. Man würfelte noch mit 3W6, denn der Prozent- und andere Würfelformate lagen weit in der Zukunft, die entsprechenden Angaben aus den D&D-Listen waren von Josef umgerechnet worden; man bekam »gnadenlos« seine Figurenattribute (einmal gewürfelt, blieb es dabei – und wenn es auch Ausdauer = 01 war), Fantasygeldstücke, um sich auszurüsten mit (aus heutiger Sicht banal-einfachen, übersichtlichen Listen). Gustav Gaisbauers Figur hatte Aussehen 100, aber nur 1 Kupferstück, was für nichts außer einen Lendenschurz reichte (das musste sein, denn bis heute ist Rollenspiel in Deutschland meist ein recht prüdes Gehabe …), also ging er als longotischer (eine Volksgruppe auf Magira) Schönling. Im ersten Raum gab es nichts zu sehen außer einem Haufen Lumpen in der Ecke, man hob sie auf, heraus fielen 3 Goldstücke (ein Vermögen!). Der Longote hatte etwas zum Anziehen, und zwei Räume weiter verschied er an der Pest, die dieser Kleidung noch angehaftet hatte (ja, damals waren die Krankheiten noch schnell und hart und die Schutzwürfe erbarmunglos hoch …) – der erste »Tote« im Followrollenspielzeitalter. Die Monster waren noch schön-hässlich und stark (man erinnert sich besonders an schleimspuckende Frösche und säureabsondernde Riesenspinnen), die Kampfrunde dauerte 1 Minute, die Ziehrunde 10 Minuten und der Spielleiter hatte, den Regeln gemäß, zusätzlich zu den den Räumen innewohnenden Gefahren jede Ziehrunde mit 1W6 zu würfeln – was er auch tat. Und bei einer »1« ständig neue »wandering monsters« auftauchen ließ, und wenn die kamen, ging es zur Arten-Bestimmung auf die nächste Liste. Wenn man hintereinander einen langen, aber nur einen halben Meter breiten Gang entlangging und die eigene Rüstung an den Wänden links und rechts schabte und kratzte, tauchte halt (Liste ist Liste!) dieser Kentaur auf und galoppierte im Dunkeln mit eingelegter Lanze durch diesen Schmal-Gang auf den Gruppenersten zu! So war das damals halt (und ob sich seither an spielimmanenter Logik wirklich soviel zum Besseren gewandelt hat, daran hab ich manchmal meine Zweifel). Nach 8 sowohl spannenden wie sehr erheiternden Stunden kam es zum definitiven Showdown, als eine Amazonenkriegerin sich der gesamten Gruppe in den Weg stellte und reihenweise die stärksten Männer umhaute, ehe Lugh macBeorn (alias Ludger Fischer) sein Charakterblatt musterte, feststellte, daß er ja »Don Juan gelernt« hatte und flugs sein Kettenhemd hob (!), auf dass die Amazone von den darunter hervorstechenden Dingen so abgelenkt ward, dass sie überwältigt werden konnte. Das nennt man doch ein richtig-rollenspielhaftes Verhalten!

Das ganze ist schon 26 Jahre her. Man hat nie genau nachrecherchiert, aber dieses Testspiel könnte damals eines der, wenn nicht sogar das erste, von Deutschen in Deutschland betriebene Rollenspiel im heutigen Sinn gewesen sein (sehr viel früher, das erfuhr man 3 Jahre später bei einem Con in einer US-Kaserne bei Frankfurt, haben auch amerikanische Soldaten und Angestellte es hierzulande nicht gespielt).

Hinab in den Dungeon

Das Interesse war also geweckt, es ließ vor allem Jürgen Franke nicht ruhen, und er bereitete sich ebenfalls darauf vor, Spielleiter zu werden, auch wenn es wieder bis zu Sylvester/Neujahr 1977/78 dauerte. Etwa 15 Leute waren dazu eingeladen worden, doch ins damalige Franke’sche Domizil in der Friedberger (in Hessen, nördlich von Frankfurt – wo heutzutage, gar nicht unzufällig, auch der Verlag „Pegasus“ ansässig ist) Altstadt kamen außer den beiden Gastgebern nur 4 Leute, wiederum Herr Karl-Georg Müller, Herr Ludger Fischer und ein noch jüngerer Erainner-Follower (Axel Benz hieß der Gute, damals auch noch kein Herr, sondern nicht viel älter als 17 oder 18 Jahre; Anmerkung von Karl-Georg Müller), der jetzt nicht mehr fannisch aktiv ist (man sagt ja, Rollenspiel fördere die Phantasie …wer der vierte Mitspieler war, sollten gewitzte RPGler also auch erschließen können).

Als Grundlage hatte sich Jürgen nicht D&D, sondern ein anderes US-Rollenspiel vorgenommen, mit Namen »Empire Of The Petal Throne« von M. A. R. Barker, einem amerikanischen College-Professor, der die Entwicklung seiner eigenen Fantasywelt Tekumél schon länger genauso als Hobby betrieben hatte wie weiland Tolkien seine Elbensprachübungen und sie nun bei dem beginnenden Trend als RPG veröffentlicht hatte (Meines Wissens erschien das Regelwerk als direkte Übersetzung nie in Deutsch, dagegen Barkers dickleibiger Fantasyroman: »Der ungewöhnliche Goldmann«, sinnigerverweise in der Goldmann Fantasy-TB-Reihe, Nr. 23890 – ebenfalls zu empfehlen, vor allem für Rollenspieler).

Selbst in der anfänglichen, nur für den spielerischen Eigengebrauch genommenen Fassung war das Regelheft schon zu mindestens 50 % an die damalige magiranische Realität angepaßt und abgeändert, ein Trend, der sich noch fortsetzte und durch die ständige Spielpraxis und neue Lösungen für neue auftretende Fragen ständige Ergänzungen erforderte. Somit sind auch die frühesten MIDGARD-Regeln (von 1981) bereits als fast vollkommene eigenständige Entwicklungen zu bezeichnen.

Und so ging man auf diesem, dem ersten Kampagnencon, einfach los. Es traf sich, das wird wohl keinem Rollenspieler ganz und gar unbekannt sein, in einem Gasthaus (eines Fischerdorfs an der südöstlichsten »Ecke« Erainns). Eine illustre Gesellschaft aus den (damals) üblichen Charaktergruppen: drei bis vier Krieger (darunter der ganz und gar typische Nordlandbarbar Thorgrimm aus Waligoi (Midgard: Waeland) und Rodraic macSowieso aus Albyon (Midgard: Alba), Priester wie ein gewisser Simik, ein Tica aus Esran (Midgard: Eschar) und ein lausiger Grad 1-Magier namens Agadur aus Ranabar (Midgard: Rawindra), der schon damals so alt war, wie er aussah und der, wie die meisten früher Rollenspielfiguren, in diversen Beispielen der Midgard-Regelhefte auch immer noch Erwähnung findet als der einzige Überlebende seit Beginn dieser als »Abenteuer in Erainn« andauernden Kampagne. (Selbst heute gibt es ab und an noch Fortsetzungen, wenngleich Agadur mit seinem »Kollegen« Finrod in Corinnis dem luxuriösen Leben frönt und dementsprechend beide zu faul sind aufzutauchen.)

Die Gruppe wurde von einem »ganz zufällig« ebenfalls anwesenden höherrangigen Magier angeheuert, ihn auf der gefahrvollen Reise entlang der Küste bis hinauf nach Corinnis zu begleiten. Man sah Fliegende Wesen namens Hlakas (die heutzutage sowohl aus Magira wie Midgard gestrichen sind), Siabhra (die es noch gibt) und einige andere nette Wesen, darunter eine »Borkenfrau«, die Rodraic nächtens in den Wald entführte und ihn mit einem von Tag zu Tag schneller wachsenden Kind zurückließ. Man geriet, was für eine Überraschung auch, in ein unterirdisches Gewölbe (wo der Hochmagier, Deus-ex-Spielleiter, eigentlich auch hinwollte …), wo sich die wandernden Monsterchen nur so hintereinander anstellten. Bis hin zu den stinkenden Arracht, die damals ihren ersten Auftritt hatten (eine Abwandlung aus einer EoPT-Rasse) und denen sich die gesamte Gruppe nur durch überstürzte Flucht entziehen konnte. (Die Spielhandlung dieses ersten Abenteuers ist auf ca. 6 Seiten aufgezeichnet und wurde in einem frühen Followheft abgedruckt; so die Götter der Technik und die noch stärkeren der Zeit es erlauben, könnte dieses »Zeit-Dokument« auch mal wieder ausgegraben und irgendwo ins Netz gestellt werden).

Der zweite Kampagnencon fand im März 1978 in Gelsenkirchen statt, wieder unter der Spielleitung von Josef Ochmann. Die Tochter des Wirts eines Gasthauses in Corinnis wurde entführt, die zufällig anwesende Abenteurergruppe jagte ihr auf eine nahe gelegene Insel mit (schon wieder) größerem Gewölbe unter einem halbverfallenen Turme nach. Außer den »üblichen Verdächtigen« nahmen Leute wie Dieter Steinseifer, der heutzutage als SF-Propagandist tätige, medial höchstpräsente Robert Vogel und Ingo Baschek-Martin (späterer Inhaber des „Hobby“-Versands) teil. Und nur um mit der Legende aufzuräumen: Finrod war nur »zweite Wahl«, die erste Rollenspielfigur von Jürgen E.Franke verstarb nach knapp 5 Minuten Spielzeit (erst dann kam Finrod und es begann die Lebens- und Leidensgeschichte mit ihm und Agadur).

Thorgrimm der Wali-Barbar sprengte sämtliche Rekorde, was das Öffnen von Türen betraf (die man zur damaligen Zeit noch mit 1 bei 1W6 leise, mit 2 lautstark öffnen konnte, so dass der Spielleiter (nach etwa 30 hintereinander gewürfelten »Einsen«) schließlich die Nerven verlor und diese Figur gleich zweimal aus dem Weg räumte: einmal durch übermächtige Monstren, die ihn töteten, zum zweiten durch einen (erkennbar im Originalszenario nicht vorhandenen!) Steinblock zerschmetterte, als ein ebenfalls später bekannt gewordener Magier namens Adonios aus Chryseia den Leichnam des lieb gewonnen Freundes durch den ganzen Dungeon zur Wiederbelebung zurückschleppen wollte. Nebenbei erkundete man weitere Regellücken, die, rückblickend gesehen, Midgard zu einem jener Systeme gemacht haben, dessen Regeln halbwegs logisch sind und vieles erfassen (denn wenn sich in einer Kneipenschlägerei jemand, ganz und gar logisch verhaltend, einen Stuhl oder eine Sitzbank schnappt und damit um sich zu schlagen beginnt, kann der Spielleiter nicht argumentieren, dass dies »nach den Regeln nicht möglich ist« – so kam es zu Kapiteln, die damals »Kampf mit improvisierten Waffen« oder ähnlich hießen).

Rollenspiele zum Lesen

Ab dem 3. Kampagnencon im Mai 1978 in Friedberg (Spielleitung Jürgen E.Franke; Handlung ebenfalls wieder in der Umgebung von Corinnis) gab es auch das allererste, noch selbst kopierte Regelheft, genannt „Empires of Magira“, in einer Auflage von schieren 20 Stück mit 92 Seiten im A4-Format, gedacht als ergänzbares Ringbuch mit auswechselbaren Blättern. Hier konnte man bereits viele spätere Midgardelemente (Göttlicher Eingriff z.B.) sehen, aber auch noch Teile aus den EoPT-Regeln (Schriftrollen und besonders die als so genannte »Augen« bekannten magischen Gegenstände für jeden Allzweckgebrauch), und natürlich jede Menge Beschreibung von Rassen und Nichtmenschen nach damaligem magiranischem Standard.

Mitte 1978 kam es in FOLLOW (dem auch heute noch »inoffiziellen« Club) nach kleineren Differenzen zur Gründung eines offiziellen Vereins, der sich konsequenterweise „Erster Deutscher Fantasy Club“ (EDFC) nannte und bis 1992 als Herausgeber von Follow wie auch des Armageddon-Regelheftes diente (ihn gibt es auch heute noch, wiewohl er »nur noch« das literarische Fantasyfeld beackert, aber mit knapp 500 ständigen Mitglieder doch sehr intensiv). Ein zunächst als »Gegenclub« avisierter Verein löste sich schnellstens von Follow und agierte selbständig: der vielleicht noch bekannte »Club für Fantasy- und Simulationsspiele« (CFS e.V.).

Er wurde getragen von den mehr Spielinteressierten und veranstaltete in den 14 Jahren seines Bestehens regelmäßig kleinere und einen Haupt-Con im Sommer, der (in Wuppertal, der Wetterau und auch zweimal Mainz) Teilnehmerzahlen von 50 bis 200 aufwies. Dabei wurde das gesamte Spektrum an Spielen angeboten, nicht nur Rollenspiele; die Erinnerungen daran sind mit solchen Namen wie „Sources of the Nile“, „Junta“, „Empires of the Middle Ages“, „Kingmaker“, „Wooden Ships and Iron Men“, „Darkover“, „Civilization“ und „Talisman« verknüpft. An Rollenspielen gab es „D&D“ oder “AD&D“, „Traveller“ und sogar (Babytraveller …) »Sternengarde«, zumeist natürlich MIDGARD; so lief mit dem »Frosthexer-Dungeon« 1980 in Büdingen auch das erste Midgardabenteuer in Turnierform ab. Leider (aus rein subjektiver Sicht), in zunehmender Konkurrenz zu anderen Cons und der Spielmesse in Essen, nahm die Zahl der an Non-RPGs Interessierten immer weiter ab, so dass der CFS 1992 sanft verschied.

Er hatte jedoch bis dahin auch sein regelmäßiges Spielemagazin herausgegeben: zunächst in Form von kleinen, noch recht fanzinehaften A5-Formaten mit dem Namen „Mythos“ (bis zur Nummer 20), danach im aufwendigen, professionellen A4-Format als „Spielwelt“ (Nummern 21 bis 26 mit dunkelroter Umrandung und Schwarzweiß-TB, danach bis zum Ende, der Nummer 48, mit Farbtitelbildern). In jedem, auch den frühen, war vielfach Material zu MIDGARD enthalten, meist ein kleineres Szenario (die Urformen später ausgebauter Szenarien wie »Der Frosthexer«, die »Insel des Widdergottes«; sogar, in der »halblegendären« Nummer 3, ein Tolkien-RPG-Abenteuer um die Gollumgeschichte). Der Rest wurde durch Spielebesprechungen, Buchrezensionen und Informationen abgedeckt, mit Umfängen von zunächst etwa 40 bis zu 60 Seiten.

MIDGARD erscheint

Im August 1981 erschien schließlich das Regelheft MIDGARD 1 von Jürgen E. Franke, offiziell herausgegeben (laut Impressum) noch vom CFS (mit Copyrightvermerk von Elsa Franke), »das kleine grüne«, im A5-Dissertationsformat bei 216 Seiten. Welche Unterschiede es zu späteren oder gar den heutigen Regeln enthalten mag, überlässt (im eigentlichen Sinne) Rollenspieler den nur namentlich sich so bezeichneten, aber wohl eher »Regelspieler« darstellenden Leuten, die sich an sowas ernstlich delektieren können. Die professionelle Aufmachung rechtfertigte schon den Untertitel »das erste deutsche Fantasy-Rollenspiel«. Das Geheimnis des Namens MIDGARD, eigentlich ja ein Begriff aus der klassischen nordischen Mythologie, ist gar keins. Es gab ein ernsthaftes Bedenken unter einigen Beteiligten (darunter auch ein Werbeprofi), doch der Brainstorm-Berg gebar nur die Maus MIDGARD, weil es eben ein kurzer und griffiger Name war (Arma wie Rama waren schon besetzt, EDFR als Abkürzung nicht geeignet und alle anderen Vorschläge genauso unbefriedigend).

Schon kurz zuvor war (neben „Mythos“) der „Gildenbrief“ gestartet worden, der sich in den ersten A5-Nummern auch nur als dünnes Informationsblättchen präsentierte und nur auf die Belange von MIDGARD selbst konzentrierte; und so gibt es ihn ja heute noch, inzwischen beim »Hochglanz-Format« und gerade der Jubiläumsnummer 50 angelangt.

1987 schließlich war das Jahr der Trennung von Midgard und Magira. Bis dahin waren die Spielszenarien noch im magiranischen Umfeld angesiedelt. Die geplante Ausweitung des Vertriebes (fortan durch „Klee-Spiele“ in Lizenz von Elsa Frankes „Verlag für Fantasy&Science Fiction-Spiele“) machte dies notwendig. Und da an der »magiranischen Enzyklopädie« in den 21 Jahren seit FOLLOWs Gründung zahllose Leute mitgearbeitet hatten, war die Rechtelage höchst ungewiss (zudem Hugh Walker/Hubert Strassl mit seinen Magira-Romanen und der Pabel/Moewig-Verlag ebenfalls noch involviert waren und auch diverse Follower in abgewandelten Regeln ein bis heute auf kleiner Flamme laufendes »Abenteuer in Magira«-System herausbringen wollten).

Eine neue Welt – und kein Ende in Sicht

So wurde die Welt MIDGARD geschaffen. In einigen Landen (Nahuatlan, Rawindra, Waeland) erkennt man noch die ursprüngliche magiranische Entsprechung, bei Alba (Albyon) ist mehr als die Hälfte der Enzy identisch, und bei Erainn sogar noch mehr (der Name und 90 % der Landschaft). Dagegen sind Länder wie Aran und Kan-Thai-Pan gänzlich neuentwickelt.

Jetzt begann das eigentliche MIDGARD-Leben. Das dauert nun auch schon 16 Jahre an, aber das alles zu beschreiben ist anderer kompetenterer Leute Sache.

Kommentieren ist momentan nicht möglich.

Juni 2024
M D M D F S S
 12
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930