Den nachfolgenden Text verfasste ich vor einigen Jahren, die Anmerkungen revidiere ich aber heute nicht. Es entsprach damals wie auch jetzt natürlich nicht der Sorgfaltspflicht, aus dem Bauch heraus zu schreiben. Das hat seine Tücken, weil einiges nicht ganz ausgegoren ist, anderes nicht schön formuliert. Ich machte es trotzdem, um überhaupt den Fuß in die Tür zum Fürstenhaus zu bekommen. Es kann zweifellos sein, dass ich später etwas zurücknehme oder anders sehe, aber für den Moment damals – und auch jetzt – musste es reichen. Warum ich’s dann machte? Womöglich möchte ein Spielleiter den Fürsten doch in den Blickpunkt eines Abenteuers rücken oder ihn als Staffage präsentieren. Da ist es doch nicht schlecht, wenn ein paar Worte über Charakter und Motivation und dies und jenes weitergereicht werden.

Amhairgin ist einer der Coraniaid, die 1560 nL nach Midgard zurückkehren und dort ihr altes Reich verteidigen. Wie die gesamte, zahlenmäßig kleine Gruppe Coraniaid ist auch ihm der Rückweg nach Emhain Abhlach verwehrt. Zusammen mit den übrigen Coraniaid muss er auf Midgard leben.

Noch weiter zurück, diesmal in der Realwelt (okay, inwiefern man zeitlich von einer fiktiven Welt zur realen Welt „zurückgehen“ kann, sei mal dahingestellt): 1976 durften Elsa & Jürgen Franke die „Sippe der Schlange“ im Fantasy-Verein FOLLOW gründen. In ihrem Gefolge: Amhairgin.

Amhairgin ist also ursprünglich eine Manifestation auf Magira. Dort wurde er Fürst von Cuanscadan (so wie etliche andere Städte ihre neuen Herrscher fanden: Corrabheinn – das ist Manfred Roth – siedelte in Cruachan, Ian ay’khrea – das ist Josef Ochmann – in Corrinis, und so weiter). Gerade in den ersten Jahren erschienen viele Schriften zur Kultur, unter anderem natürlich auch zu den Coraniaid, ihrem Leben und Treiben und allem, was dazugehört.

Bis eines Tages Querelen Follow erschütterten. Elsa & Jürgen Franke konzentrierten sich in der Folgezeit weniger auf Follow, sondern vielmehr auf das bald entstehende Midgard und den „Club für Fantasy- & Simulationsspiele). Das „Volk der Schlange“ (aus dem Stehgreif kann ich die Namensänderung nicht datieren) wurde in der Folgezeit von einem Dail regiert, der aus drei Mitgliedern bestand. Später durfte dann Manfred Roth einen eigenen Clan um sich scharen: die Grauen Schlangen waren geboren (während die anderen Schlangen als die Grünen Schlangen weiterhin präsent waren).

Jetzt mache ich’s kürzer: Amhairgin schiffte sich irgendwann gen Emhain Abhlach ein, um zu den Grünen Schlagen zu gehören (die sind allesamt in Emhain Abhlach gelandet), wechselte später wieder nach Magira zu den Grauen Schlangen kam. Dort lebt er noch immer.

Damit wurde in groben Zügen der Magira-Amhairgin abgehandelt. Jetzt nehme ich mir noch kurz den Midgard-Amhairgin zur Brust. Den verschleppten Myrkgard-Amhairgin dagegen lasse ich komplett im Regen stehen …

Wenn es einen Magira-Amhairgin gibt, warum sollte es dann nicht auch einen Midgard-Amhairgin geben. Also landete Amhairgin in der Stadtbeschreibung (es schreibt sich nichts so leicht wie ein Selbstplagiat) auch in Cuanscadan. Damit sind zwei Amhairgins untergebracht. Und beide sind sich nicht nur sehr ähnlich, sondern im Grunde sind sie gleich. Jetzt nicht erschrecken, ich nehme Dich – den willigen Leser – kurz an die Hand und entführe Dich auf die Homepage zu Follow-Erainn … Ach, ich mache es einfacher, ich kopiere den Auszug eines Textes hierhin, den Manfred Roth dereinst geschrieben hat und den ich unterschreiben würde:

„Neben diesem einem kulturellen Hintergrund sind die Hauptvertreter der Bewohner Erainns mit den Hochelben aus J. R. R. Tolkiens Mittelerde vergleichbar, vermischt mit einigen Elementen aus Michael Moorcocks “Elric”-Romanen.“ Lassen wir Tolkien mal außen vor, stellen wir lieber Elric ins Rampenlicht. Interessant an ihm ist seine innere Zerrissenheit, seine Fremdbestimmtheit, seine Selbstzweifel. Und dass er eine von zahlreichen Inkarnationen in einem Multiversum ist.

Endlich kommen wir der Sache näher. Amhairgin auf Magira. Amhairgin auf Midgard. Ein und dieselbe Person – oder doch nicht? Beide auf der Suche: wonach? Wie geht es weiter? Magira-Amhairgin interessiert in diesem Zusammenhang jetzt nicht weiter, wichtig ist alleine der Midgard-Amhairgin.

Der lebt seit etwas 800 Jahren auf Midgard, eine selbst für einen langlebigen Coraniaid nicht unerhebliche Zeitspanne, die am besten mit irgendetwas Sinnvollem angefüllt sein muss. Durch die Gegend spazieren und sich die Tristesse der Walachei und das Elend der Städte begucken? Ist nicht so doll. Da kommt eines Tages doch die Einsicht (oder das Verlangen oder was auch immer), dass es in der Heimat am schönsten ist und es eine nette Geschichte wäre, dorthin wieder zurückzukehren. Ansonsten lesen wir im DFR bei den Elfen: sie können „… an großem Kummer sterben.“ Wenn 800 Jahre Heimweh kein großer Kummer sind, dann weiß ich’s nicht …

Melancholie also allenthalben, Traurigkeit, Schwermut, Bekümmernis, Gram (ich habe mal den wordschen Thesaurus eingeschaltet und ein paar Fachtermini aus dem Hut gezaubert: wer will, kann ähnlich fortfahren, also Trübsal, Schmerz … all die deutschen Befindlichkeiten eben) und so vieles, was die Seele belastet und das Gemüt bedrückt. Bald (nun gut, ein paar Jahrzehnte wird es gedauert haben) wird auch Amhairgin klar, dass die Zeit drängt und eine Rückkehr ins verheißungsvolle Emhain Abhlach die einzige Seelenrettung sein kann.

Und damit nähern wir uns langsam (man sollte von einem Coraniaid ja auch wirklich keine Eile erwarten!) der midgardschen Jetztzeit. Justament, als der Leidensdruck so richtig drückt, geschieht es, dass in Cuanscadan Weise Frauen dahingemeuchelt werden. Ailinn (Amhairgins Angetraute) schifft den Runan abwärts, Amhairgin mit. Das kommt ihm ganz zupass, denn er hat … nennen wir’s vorerst einmal Visionen (da wäre eine weitere Ausarbeitung nötig, ob Coraniaid nämlich ein besonderes Gespür haben für bestimmte Veränderungen im Weltgefüge), die ihm vorgaukeln (oder eben nicht!), dass sich in nicht so ferner Zukunft etwas „auftun“ wird: ein Zugang nach Emhain Abhlach wird das sein, die Rückkehr in die „Ewigen Lande des Westens“ erscheint also möglich. (Wobei das „nicht so ferner Zukunft“, bitte schön, aus der Sicht eines Coraniaid bewertet werden muss. Ausgespielt wird das nämlich nicht, geschehen wird das erst in ein paar Jahrzehnten – für einen Coraniaid eben nicht mehr fern – oder, um es greifbarer zu machen: immer „im nächsten Jahr“ …)

Jetzt präsiert es aber Amhairgin. Es ist nicht klar, wie diese Rückkehr bewirkt werden kann, doch für ihn scheint eines sicher: man sollte für den Fall der Fälle bestens gewappnet sein. Deshalb möchte er kein Risiko eingehen und etwa als einsiedelnder Eremit vor sich hindudeln. Eigeninitiative lohnt sich auch in einer phantastischen Welt, also werden die Bedingungen geschaffen, um alles Nötige in die Wege leiten zu können, wenn es drauf ankommt. Und was bietet sich da förmlich an: eine komplette Stadt, die grad mal eine Dämmerstunde einlegt und auf die Hilfe eines Coraniaid angewiesen ist. Das nutzt Amhairgin aus, er schwingt sich – mit mehr oder weniger überschäumender Begeisterung in der Bevölkerung – zum Fürsten auf. Und seitdem streckt er seine Fühler aus, um nur im richtigen Moment zur Stelle zu sein, wenn die Zeichen künden und der Rückweg nach Emhain Abhlach geebnet ist. Vielleicht braucht er dazu ein schlagkräftiges Heer, um sich den Weg irgendwohin zu ebnen, vielleicht muss er mit einer kleine Flotte gen Westen segeln, um von einer Insel aus … Oder vielleicht vermutet er, dass sich erst Gerüchte über unerklärliche Ereignisse breitmachen, bevor sich eine Möglichkeit zur Rückkehr eröffent – und die Gerüchte dürfte am ehesten in einer Hafenstadt wie Cuanscadan anlanden … Genaues jedoch weiß er nicht, das Rätselhafte soll ruhig für immer und ewig ungelöst bleiben.

In den Zwischenphasen liegt die Euphorie darnieder und er stützt seinen Kopf mit den trüben Gedanken in die kalten Hände und schaut weit, sehr weit in die Ferne, wenig ansprechbar für die irdisch-midgardschen Dinge und genau dem Bild eines Coraniaid entsprechend, wie es die Literatur so trefflich darstellt: kalt und beherrscht, leicht zu beleidigen, spöttische Verachtung für diesen und arrogant, gleichgültig oder berechnend für jenen. Also eine Art Generation Golf-Yuppie der Fantasy. Und – um Nathirs Willen! – kein Gutmensch! Coraniaid sind nicht die Schmetterlinge Midgards, die fröhlich flattern und nur gute Dinge im Kopfe denken und hier und dort einmal etwas bestäuben.

Okay, grad noch zum Nachwuchs: Als ich das Quellenbuch ad acta legte, hatte ich so einige Mutmaßungen, was den Spielern nicht gefallen könnte. Eine beschäftigte sich mit den beiden Jungs des Fürstenpaars. Die Fürstin und der Fürst sind ja eher steinalt – und haben zwei Jungen, die nicht einmal 20 Jahre alt sind! Das ist doch arg konstruiert, oder?

Ist es nicht. Das habe ich mir nur so geschickt aus den Fingern gesogen, dass es auch einen Sinn macht. Stichwort: Melancholie. Männlein und Weiblein vermehren sich doch gerne, wenn alles um sie herum eitel Sonnenschein ist und die Zukunft glücklich aus den Augen blinzelt. Wenn aber Trübsal Einzug hält, dann steht der Kinderwunsch nicht an vorderster Stelle: der Nachwuchs bleibt demnach auf der Strecke. Da erscheint es nicht unschlüssig, wenn die beiden Coraniaid-Angetrauten just in den letzten Jahren erst Nachwuchs zeugten, denn die Zeichen deuten ja auf eine bessere Zukunft hin, auf eine Veränderung zum Positiven (auf Ganztagsbetreuung beispielsweise!) Bald (ich verweise nochmals darauf, dass dieses „bald“ nicht richtig „bald“ ist) geht es ja gemeinsam gen Schöner Wohnen. (Nicht ganz klar ist dem Verfasser übrigens, inwiefern nicht doch in der Vergangenheit kleine Coraniaids dem Ei der Schlange entschlüpften – man sollte die Fürstin befragen! – oder kleine Sidesteps getätigt wurden. Upps.)

Wie aber setzt man einen solchen Fürsten im Rollenspiel ein? Wer Amhairgin irgendwie „verwenden“ will, der sollte sich das Gesagte vergegenwärtigen. Der Fürst will sich örtlich verändern. Der Fürst ist Coraniaid und kein Mensch. Er ist schon gar kein Gutmensch und auch kein Gutcoraniaid. Er weiß, dass er auf Midgard vor die Hunde geht. Was macht eine solche Person: sie ordnet dem Erreichen des Ziel weitestgehend alles unter. Das muss nicht bedeuten, dass Amhairgin „über Leichen geht“, das Elfenerbe wohnt auch ihm inne, und das sprichwörtliche Ehrgefühl ist auch ihm zueigen. Aber er wird abwägen, inwieweit das Wohl eines Menschen hinten angestellt werden muss. Das heißt, dass der Fürst etwas auf Ehre hält und auf Respekt, aber sich nicht scheut, im geeigneten Moment einen Menschen ins Unglück zu stürzen – wenn es denn der Sache dient.

Es ließe sich jetzt noch mehr schwadronieren (nämlich zum Beispiel, dass die Aufgabe der Coraniaid ja längst erfüllt ist und sie deshalb womöglich eine Distanz zu den Menschen spüren, sich also nach all den Jahrhunderten nicht mehr mit ihnen verbunden fühlen wie in den frühen Tagen. Das würde auch erklären, warum sie sich von den Menschen entfernt haben – und umgekehrt die Menschen das fühlen und sich fragen, weshalb sie denn einen Coraniaid als ihren Herrscher anerkennen sollen. Oder was geschieht, wenn zwei oder mehr identische Personen gleichzeitig nach Emhain Abhlach reisen?), aber fürs erste genügt das bisher Geschriebene.

[Verfasser: Karl-Georg Müller. Ursprünglich eingestellt: 15.05.2006. Geändert: 18.02.2011]

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