Uillh soll ein echter Pirat sein, raunen sich die Gäste in der Taverne Gó Tiubh Captaen zu. Beurteilt man ihn nach seinem Aussehen, so könnte das der Wahrheit entsprechen. Aber weshalb lungert er dann wochenlang auf dem Trockenen herum? Irgendetwas stimmt nicht mit dem vierschrötigen Kerl. Aber für die Wirtsleute ist Uillh eine Goldgrube, denn mit seinem wilden Gesang lockt er die Kundschaft an.


H46 Pirat.

Uillh, Dieb – Grad 5

(Wohnort Rasterkarte: Q21)

Wer sich in den kleinen Dörfern des Fürstentums umhört, der wird viele Gerüchte hören über verdorbene Sitten und rohe Gestalten, die sich in der Stadt Cuanscadan ausgebreitet haben wie eine Seuche. Und wenn besorgte Eltern ihre Sprößlinge davon abhalten wollen, dass die ihr Seelenheil in den Gassen der Hafenstadt verlieren, dann erzählen sie von den wilden Piraten mit den blutigen Langmessern, die zwischen ihren Zähnen aufblitzen.

Die Wahrheit – ob nämlich waschechte Piraten durch die Gassen der Stadt ziehen – kennen die meisten Dörfler nicht, weil sie nur selten ihre vertraute Heimat verlassen. Vielleicht könnte Uillh ihnen Rede und Antwort stehen, wenn er nicht gerade wieder einen über den Durst getrunken hat (was gleichzeitig heißt, dass man ihn sehr früh morgens aus dem Schlaf reißen müsste, denn schon die ersten Sonnenstrahlen begrüßt er mit einem hochprozentigen Willkommenstrunk). Uillh nämlich sieht auf den ersten Blick verwegen aus mit seinem zum Zopf gebundenen, dünnen Haar, der bis zum Rücken fällt, und seiner Narbe, die als blutrotes Mal über seine linke Wange läuft.

Eine vermutlich rotfarbene, längst aber schmutzstarrende Tuchmütze ziert seinen braungebrannten Schädel. Und mit seinen verdreckten Fingern umklammert Uillh tagaus, tagein seinen Trinkbecher, als müsse er sich am Besanmast festhalten, weil das Schiff in schwerem Seegang krängt. Manchmal aber fährt seine rechte Hand nervös zum Krummdolch, der allzeit bereit im Ledergürtel steckt. Seine unstet flackernden Augen springen dann von einem Gast zum nächsten, und die nackte Angst steht ihm ins Gesicht geschrieben.

Uillh wohnt seit einigen Wochen im Gasthaus Gó Tiubh Captaen (Schild: Beleibter Seemann; Bedeutung des Namens: Zum dicken Kapitän). Sowohl von den Wirtsleuten als auch von den Stammgästen wird er wegen seiner ausgemergelten Statur nur „Der Knochige“ (Uillh Cnámhach) genannt. Wenn Uillh nicht im Schlaf so flüssig sprechen würde, wie der Schnaps seine Kehle hinabläuft, wüsste niemand mehr als seinen Namen. Doch seine beredten Nachtträume schlichen durch die dünnen Zimmerwände in die Ohren der anderen Gäste und brachten einige Details aus Uillhs dunkler Vergangenheit ans Tageslicht. Sollte demnach das zutreffen, was er in seinem schmalen Einzelzimmer zum Besten gibt, so zählt er zu den berüchtigten Leannai Aigéan, den Kindern der See. Jeden diesbezüglichen Vorwurf wird er jedoch ins Reich der Fabel verweisen. Keine Frage, dass diese Informationen im Gasthaus und darüber hinaus schnell die Runde machten. Und als ob das nicht genug wäre, konnten die Lauscher gar von einer Schatzkarte berichten, die Uillh in seinem Besitz haben will.

Séam, dem halbwüchsigen, hellwachen Sohn der Wirtsleute, steckt Uillh zum Ersten eines jeden Mondes ein Silberrad zu. Für den Jungen ist die Silbermünze ein kleines Vermögen, weshalb er den damit verbundenen Auftrag sehr gewissenhaft erledigt: er muss nach einem Einbeinigen Ausschau halten. Weshalb und warum, das bleibt Uillhs Geheimnis, und selbst Séams unablässiges Sticheln entlockt ihm keine Silbe zum Einbeinigen.

Séams Eltern sind nicht erfreut, dass ihr einziger Sohn sich mit einem mutmaßlichen Pirat abgibt. Auf der anderen Seite aber profitieren die beiden von seiner Anwesenheit: Ihr Gasthaus quetscht sich in der Nähe der alten Stadtmauer zwischen die Häuser – im Hafenviertel zählt das zu einem der besten Plätze -, und verschrobene Gäste wie Uillh der Knochige locken neuerdings auch einige Vorwitzige aus der Altstadt herbei. Es ist gut möglich, dass Uillhs Lied von den saufenden Seebären bis in ihre Häuser schallt.

Zusatzinformationen: Es ist wahr, Uillh gehört zu den Kindern der See. Viele Jahre lang ist er mit Kapitän Cloch zur See gefahren, bis eines Tages das Schiff des Piraten aufgebracht und versenkt wurde. Ein Teil der Mannschaft fand den Tod, einige sprangen über Bord – und die wenigen, die schwimmen konnten, erreichten die Küste und machten sich davon. Uillh gehörte zu den Überlebenden. Warum er jetzt den unbekannten Einbeinigen fürchtet und auch sonst ängstlich jeden Neuankömmling im Gasthaus taxiert, liegt auf der Hand. Kapitän Cloch hat viele Jahre Schiffe gekapert und geplündert, und irgendwo ist der Großteil seines Schatzes abgeblieben. Die alte Mannschaft weiß von der Insel, auf der die Schätze vergraben wurden, doch von denen ist nur noch eine Handvoll am Leben. Und in der Nautik ist keiner von ihnen kundig genug, um ohne detallierte Hinweise zur Insel zu finden. Und außerdem fehlt die Schatzkarte, die Kapitän Cloch angefertigt hatte.

Uillh hat sie. Auf jeden Fall glaubt er das. Und seitdem ist er auf der Flucht. Jetzt hat er die Nase voll, sein Körper ist vom übermäßigen Alkoholgenuss hinfällig, er ist kraftlos und müde. Nun erwartet er tagtäglich das Auftauchen des Einbeinigen und seiner Kumpane wie Dubh Gadhar, den Schwarzen Hund.

Die Schatzkarte übrigens hat Uillh mehr durch Zufall (oder auch nicht) bei Glomach dem Kartenmacher (A10) erstanden. Es handelt sich um die echte Schatzkarte des Kapitän Cloch, wie Glomach bei Nathir und überhaupt allen Göttern Midgards geschworen hat! Uillh hat sie in festes Tuch eingewickelt und unter die wenigen Habseligkeiten (zu denen sich ein Beutel mit 154 Silberrad und 76 Schlangenrad gesellt) in seine Truhe gelegt, die er mit einem eisernen Schloss gesichert hat.

Es gibt zwei Möglichkeiten für den Spielleiter:

1. Die Schatzkarte ist nicht echt. Trotzdem wird es beizeiten im Gasthaus Gó Tiubh Captaen zu einer heftigen Auseinandersetzung kommen, wenn die ehemaligen Gefolgsleute von Kapitän Cloch den alten Weggefährten Uillh aufstöbern, die Schatzkarte einfordern und die Stammgäste nicht nur den guten Ruf des Hauses verteidigen. Das Gerücht von der Schatzkarte in Uillhs Händen wird nämlich unweigerlich wie eine Springflut bis in die hintersten Ecken Cuanscadans dringen – und noch weiter.

2. Die Schatzkarte ist echt. Das wäre erst einmal eine Aufgabe für den Spielleiter, nämlich eine Seefahrt zu gestalten, deren Ziel die Schatzinsel sein wird. Vielleicht heuert der Einbeinige auch als Schiffskoch an. Dann wäre es an der Spielgruppe, dem Schiffskoch die Suppe zu versalzen. Guten Appetit!

Schatzkarte

[Verfasser: Karl-Georg Müller. Ursprünglich eingestellt: 09.01.2006. Geändert: 16.01.2006]

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